Der Kleiber (Sitta europaea), volkstümlich manchmal auch als Spechtmeise bezeichnet, ist ein kleiner, aber bemerkenswerter Singvogel aus der Familie der Kleiber. Er ist der einzige Vogel in Europa, der die Fähigkeit besitzt, kopfüber einen Baumstamm hinunterzulaufen – ein Merkmal, das ihn von Spechten und Baumläufern unterscheidet, die sich beim Klettern am Schwanz abstützen oder nur aufwärtsbewegen können. Diese einzigartige Klettertechnik ermöglicht es ihm, Nahrung in Spalten zu erreichen, die für andere Vögel unerreichbar sind.
Erscheinungsbild und Merkmale
Der Kleiber ist ein kompakter Vogel mit einer Länge von etwa 12 bis 15 Zentimetern. Er zeichnet sich durch seinen verhältnismäßig großen Kopf und den langen, spitzen, meißelförmigen Schnabel aus, während sein Hals sehr kurz erscheint. Das Gefieder auf der Oberseite ist in einem schönen Blaugrau gehalten, das in starkem Kontrast zur hellen, oft orange-beigebraunen Unterseite steht. Ein markanter schwarzer Augenstreif zieht sich von der Schnabelbasis über die Augen bis zu den Halsseiten und hebt sich deutlich von den leuchtend weißen Wangen ab. Die Geschlechter sind optisch sehr ähnlich, wobei das Männchen meist intensivere kastanienbraune Flanken besitzt als das Weibchen.
Lebensraum und Verbreitung
Als Standvogel bleibt der Kleiber das ganze Jahr über in seinem Brutgebiet, das sich von Europa über Nordwestafrika bis nach Asien erstreckt. Er bevorzugt Laub- und Mischwälder mit altem Baumbestand, da er auf vorhandene Baumhöhlen als Brutplatz angewiesen ist. Man findet ihn aber auch häufig in Parks, großen Gärten und Alleen, solange ausreichend alte Bäume zur Verfügung stehen. Das Vorhandensein von Höhlen ist entscheidend für seine Verbreitung.
Ernährung und Nahrungssuche
Der Kleiber ist ein Gemischtfresser. Während der wärmeren Monate besteht seine Nahrung hauptsächlich aus Insekten, deren Eiern und Larven sowie Spinnen, die er geschickt aus Rindenspalten und von Ästen holt. Im Herbst und Winter ergänzt er seinen Speiseplan durch Samen, Nüsse und Beeren, wobei Bucheckern besonders beliebt sind. Um härtere Nahrung wie Nüsse zu knacken, klemmt er sie in eine Rindenspalte oder ein Loch – seine sogenannte "Kleiberschmiede" – und spaltet sie dann mit gezielten Schlägen seines kräftigen Schnabels. Dieses Verhalten, Nüsse einzuklemmen und zu bearbeiten, gab ihm den Namen Kleiber (vom mittelhochdeutschen "kleben" im Sinne von "verkleben" oder "festklemmen").
Brutverhalten und das „Klei(b)ern“
Kleiber sind Höhlenbrüter und nutzen meist alte Spechthöhlen, natürliche Baumhöhlen oder Nistkästen. Da sie ihren Schnabel nicht zum Zimmern eigener Höhlen nutzen können, sind sie auf diese Nachmieter-Rolle angewiesen. Eine Besonderheit im Brutverhalten ist die Namensgebung verpflichtende Tätigkeit: Der Kleiber verkleinert den zu großen Eingang der Höhle mit einem Mörtel aus feuchtem Lehm, Speichel oder Erde, bis nur noch eine Öffnung von optimal 29 bis 32 Millimetern Durchmesser übrig bleibt. Diese Maßnahme dient dazu, größere Konkurrenten und Nesträuber wie Marder, Eichhörnchen oder andere Vögel fernzuhalten. Das Nest im Inneren wird mit Rindenstückchen, Gras, Haaren und Federn ausgepolstert. Die Brutzeit liegt zwischen April und Juni, wobei das Weibchen meist fünf bis acht Eier legt, die es etwa 14 bis 18 Tage bebrütet. Die Nestlingszeit beträgt ungefähr 24 Tage.
Stimme und Kommunikation
Der Kleiber macht durch seine lebhafte und laute Stimme auf sich aufmerksam. Sein Repertoire ist vielfältig und umfasst einen scharfen Kontaktruf wie ein metallisches „zit“, der während der Nahrungssuche zu hören ist. Bei Erregung oder Alarmstößen ruft er oft eine schnelle, laute Serie von „twett“-Rufen. Der Gesang, der hauptsächlich vom Männchen von Ende Dezember bis zum Frühjahr vorgetragen wird, ist eine Folge gleicher, lauter Pfeiftöne, die oft an- oder absteigend klingen, beispielsweise als „wüIH wüIH wüIH...“. Zur Brutzeit hin wird der Kleiber jedoch meist stiller.